Vor einigen Tagen hatte Anna-Rosa, meine Enkeltochter, ihren 1. Geburtstag.
Ich besuchte sie am frühen Morgen. Sie saß in ihrem Kinderstuhl und vor ihr auf dem Tisch stand ein Geburtstagsring mit einer Kerze, einer „1“, einem Schneemann und einem futtersuchenden Vogel. Und sie strahlte, wie ich es bei ihr noch nicht gesehen hatte. Waren unsere Herzenswünsche zum Geburtstag so schnell bei ihr angekommen und zauberten dieses Lächeln ins Gesicht? Ich hätte ihre Glückseligkeit mit geschlossenen Augen spüren können.
Eine andere Geschichte: Mein Vater hat in den 1950-er Jahren einen „Weihnachtsberg“ gebaut, eine erzgebirgische Tradition. Im Laufe der Jahre wurde er immer wieder mal umgebaut und erweitert. Jedes Jahr in der Adventszeit stand er im Wohnzimmer meiner Eltern und meine Mutter lud die verschiedensten Menschen ein, die dieses kleine Kunstwerk betrachten konnten. Betrachten reicht gar nicht: die Geschichten erleben, die dieser Weihnachtsberg erzählte, begonnen vom Bergwerk über die Striezelmarktbuden durch das Dorf auf zwei Etagen mit der Kirche aus unserem Heimatort hin zu der Krippe mit Maria, Josef und dem Kind, den Hirten und Schafen und den Weisen aus dem Morgenland bis zum Engelsorchester ganz oben.
Nach dem Tod meiner Eltern habe ich diesen Weihnachtsberg an ein Museum in der Nähe von Dresden verkauft. In der dortigen Weihnachtsausstellung wird dieser Weihnachtsberg nicht jedes Jahr gezeigt – aber 2024 war es wieder so weit.

Und so machten wir – meine Kinder mit ihren Kindern und ich – uns auf den Weg, diesen Weihnachtsberg zu besichtigen. Als erstes war ich selber überrascht, welche Wirkung das Werk meines Vaters auf mich machte. Und die Enkelkinder waren total begeistert und konnten sich nicht sattsehen, um die Geschichten, die der Weihnachtberg erzählen kann, zu entdecken.
Wenn ich ein Council hüte und die Vereinbarungen am Beginn erläutere, sage ich beim „von Herzen hören“, dass das auch heißt, nicht zu bewerten, was der Mensch mit dem Redestab gerade spricht. Dieser Mensch spricht gerade seine beste Wahrheit.
Es fällt mir nicht immer leicht, das auch anzunehmen. Aber es wird besser. Vielleicht hängt es mit meinem Alter zusammen, dass ich zunehmend weicher und mitfühlender werde – mit mir und mit den anderen Menschen.
Charles Eisenstein schreibt in seinen Büchern vom Zustand des Getrenntseins, in dem wir die meiste Zeit leben. Und dieser Zustand scheint sich nicht zu bessern.
Das Leben kennt das Getrenntsein nicht. Wenn ich in der Natur bin dann merke ich ziemlich rasch, dass es Getrenntsein nicht gibt. Alles um mich herum wirkt auf mich:
Wind, Hitze, Kälte, Regen, Schnee, der klopfende Specht, der warnende Eichelhäher, das vorbeihuschende Reh, die Maus im Laub – alles berührt mich unmittelbar und das wenigste davon sehe ich wirklich. Aber ich habe eine Ahnung davon. Ich spüre es in meinem Körper.
In einer Geschichte sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen: „Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry „Der kleine Prinz“).
Das hoffe ich: immer öfter mit dem Herzen sehen und die Schönheit dieser Welt entdecken.
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